Kaleidoskop der jüdischen Erinnerungen

Herbert Lewin

Das Familiengeschäft

Herbert Lewin wurde 1917 in Osterode, damals Ostpreußen, geboren. Weil er aus einer jüdischen Familie kam, musste er vor der nationalsozialistischen Verfolgung fliehen - so gelang er über Jugoslawien nach Palästina ins heutige Israel. Sein Bruder und seine Eltern wanderten nach England aus. In Israel lernte Herbert Lewin seine Frau Trude kennen, die aus Wien kam. Gemeinsam zogen sie 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, nach Österreich, wo Herbert Lewin bis zum Ende seines Lebens wohnte. Seinen besten Freund Hans Schaller hat Herbert Lewin nie vergessen.

Herbert Lewins Vater Ivan Lewin

Mein Großvater väterlicherseits hieß Louis Lewin. Er war schon gestorben, als ich zur Welt kam. Mein Vater hat das Geschäft des Großvaters weiter geführt. Das Firmenschild hing noch über dem Geschäft: Louis Lewin. Klein darunter: Inhaber Ivan Lewin. Mein Vater hat das Geschäft eigentlich für die Großmutter weitergeführt, denn er war ganz ehrlich: 'Kinder, ihr könnt werden, was ihr wollt, das Geschäft kriegt niemand von euch, weil es eine Knochenarbeit ist.' 1914, im 1. Weltkrieg, wurde er aufgefordert, zum Militär zu kommen, aber es wäre dann niemand da gewesen, der das Geschäft hätte führen können. Darum hat er einen Posten halbtags in der Schreibstube im Bezirkskommando gekriegt, und halbtags ist er dann im Geschäft gestanden.

Wochentags, sonntags und feiertags wurde um 7 Uhr früh das Geschäft aufgemacht, es war durchgehend geöffnet. Es gab nur Tabakwaren und Alkohol. Früh um 7 Uhr sind schon die Beamten gekommen, die schräg gegenüber, auf der Post, gearbeitet haben, um ihr Bier zu trinken. Am Abend hat sich dasselbe zugetragen, da sind sie vom Dienst gekommen, ein zweites Glas Bier und ein Korn, also einen Branntwein.

Wir hatten einen Ausschank, und meine Großmutter Helena Lewin ist Sommer wie Winter, die ganze Woche, am Kachelofen gesessen. Jeder Gast, der herein gekommen ist, meistens waren es Handwerker oder Bauern, hat sie gekannt. Von jedem hat sie auch die Familie gekannt: Was macht das Kind, was macht die Frau - das war das erste, wenn ein Kunde herein gekommen ist. Jeder hat Frau Lewin die Hand geschüttelt, ein bisserl gefragt, erzählt, dann ist er erst zur Schank gekommen, hat ein Bier getrunken, einen Korn dazu und ist wieder gegangen. Sesshafte Kunden hat mein Vater nicht geduldet - es war nicht üblich, sich an einen Tisch zu setzen. Man stand an der Theke, man hat dort getratscht. Das Interessante war, bei meinem Vater gab es keine politischen Auseinandersetzungen im Lokal. Wir haben als Kinder beobachtet: An der einen Ecke standen die Deutschnationalen und an der anderen Ecke standen die Maurer, Zimmerleute - das waren Kommunisten. Und beide Fraktionen haben in Ruhe und Frieden ihr Bier und ihren Korn getrunken.

Vergleiche diese mit einer anderen Geschichte

Herbert Lewin


Rosinen meines Lebens

Mitte der 90er Jahre begann Herbert Lewin langsam sein Augenlicht zu verlieren. Im Alter von 90 Jahren war er fast blind, aber wie in seiner Jugend bereitet ihm es immer noch die größte Freude, Musik zu hören. Während er uns Fotos aus seinem Leben zeigt, die er selber kaum noch sehen kann, erzählt uns Herbert Lewin von seiner Kindheit in der ostpreußischen Stadt Osterode (die heute zu Polen gehört). Er berichtet von seinem besten Freund, der ihn nie im Stich ließ, obwohl er gezwungen war, in die Hitlerjugend einzutreten. Herbert Lewin nimmt uns dann mit auf seine abenteuerliche Reise, in deren Verlauf er illegal nach Palästina ausreiste, sich in Tel Aviv verliebte und dann nach dem Krieg schließlich nach Europa zurückkehrte.

Arbeitsaufträge

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