Kaleidoskop der jüdischen Erinnerungen

Herbert Lewin

Die Schulzeit

Herbert Lewin wurde 1917 in Osterode, damals Ostpreußen, geboren. Weil er aus einer jüdischen Familie kam, musste er vor der nationalsozialistischen Verfolgung fliehen - so gelang er über Jugoslawien nach Palästina ins heutige Israel. Sein Bruder und seine Eltern wanderten nach England aus. In Israel lernte Herbert Lewin seine Frau Trude kennen, die aus Wien kam. Gemeinsam zogen sie 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, nach Österreich, wo Herbert Lewin bis zum Ende seines Lebens wohnte. Seinen besten Freund Hans Schaller hat Herbert Lewin nie vergessen.

Herbert und sein Bruder Werner Lewin in Osterode, 1922

Nach der Volksschule haben meine Eltern darauf gedrungen, dass ich aufs Gymnasium gehe. In der Volksschule war ich ein erstklassiger Schüler. Ich bin aufs Gymnasium gekommen, obwohl ich nicht wollte, weil ich die ganze Zeit mit meinem Freund Hans zusammen war, und der Hans ist weiter in die Volksschule gegangen. Wegen des Gymnasiums sollte ich mich von ihm trennen. Die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium hab ich geschafft, und auch die Sexta, die erste Klasse, hab ich geschafft. In der Quinta ist dann Französisch und Latein dazu gekommen, und da war es aus. Ich bin sitzen geblieben und wollte nicht mehr in die Schule gehen. Ich musste aber noch bis zur Quarta gehen, dann ging es nicht mehr. Mein Vater hat mich auf die Handelsschule geschickt, und plötzlich war ich ein großartiger Schüler. Das hat mir zugesagt: Stenografie, Buchführung, Schreibmaschine schreiben, Geschäftsbriefe schreiben, da war ich gut.

1933 war ich das erste Jahr auf der Handelsschule. Eines Tages mussten wir alle in die Aula gehen und uns aus dem Radio die Rede vom Hindenburg anhören, wie er den Hitler einführte. Da hat mich mein Klassenvorstand gerufen und gesagt: 'Herbert, tut mir leid, du musst auch mitkommen. Wenn alle aufstehen und die Hand zum Hitlergruß heben, bleibst du ruhig stehen, hebst nicht die Hand, denn das würde man als Provokation auffassen. Dann weiß ich nicht, was passiert.' Als ich wieder in die Klasse kam, lag ein kleines Kärtchen auf meinem Pult. Auf der Karte stand: 'EINE FREIFAHRT NACH JERUSALEM UND NIE WIEDER ZURÜCK!' Die Tochter von einem Speditionsunternehmen nahm mir das Kärtchen aus der Hand und legte es dem Klassenlehrer aufs Pult. Er hat es zerrissen und in den Papierkorb geworfen. Vor dem zweiten Jahr haben meine Eltern einen Brief bekommen, in dem stand: Es tut uns sehr leid, aber wir können keine jüdischen Kinder in unserer Gesellschaft dulden.

Mein Bruder war ein Musterschüler. Der konnte sich hinsetzen, zweimal die unregelmäßigen Verben in Latein durchlesen, und sie waren in seinem Kopf. Der ist bis zur Quarta gekommen. Dann hat der Direktor vom Gymnasium meinen Vater rufen lassen und hat gesagt: 'Herr Lewin, es tut mir sehr leid, solch einen Schüler von der Schule weisen zu müssen, aber von höherer Stelle hab ich die Anweisung bekommen, dass keine jüdischen Schüler auf dem Gymnasium geduldet werden.' Mein Bruder hat dann auch zu Haus herum gesessen.

Vergleiche diese mit einer anderen Geschichte

Herbert Lewin


Rosinen meines Lebens

Mitte der 90er Jahre begann Herbert Lewin langsam sein Augenlicht zu verlieren. Im Alter von 90 Jahren war er fast blind, aber wie in seiner Jugend bereitet ihm es immer noch die größte Freude, Musik zu hören. Während er uns Fotos aus seinem Leben zeigt, die er selber kaum noch sehen kann, erzählt uns Herbert Lewin von seiner Kindheit in der ostpreußischen Stadt Osterode (die heute zu Polen gehört). Er berichtet von seinem besten Freund, der ihn nie im Stich ließ, obwohl er gezwungen war, in die Hitlerjugend einzutreten. Herbert Lewin nimmt uns dann mit auf seine abenteuerliche Reise, in deren Verlauf er illegal nach Palästina ausreiste, sich in Tel Aviv verliebte und dann nach dem Krieg schließlich nach Europa zurückkehrte.

Arbeitsaufträge

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