Kaleidoskop der jüdischen Erinnerungen

Herbert Lewin

Mein bester Freund

Herbert Lewin wurde 1917 in Osterode, damals Ostpreußen, geboren. Weil er aus einer jüdischen Familie kam, musste er vor der nationalsozialistischen Verfolgung fliehen - so gelang er über Jugoslawien nach Palästina ins heutige Israel. Sein Bruder und seine Eltern wanderten nach England aus. In Israel lernte Herbert Lewin seine Frau Trude kennen, die aus Wien kam. Gemeinsam zogen sie 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, nach Österreich, wo Herbert Lewin bis zum Ende seines Lebens wohnte. Seinen besten Freund Hans Schaller hat Herbert Lewin nie vergessen.

Herbert Lewins Milchbruder Hans Schaller als Bäckerlehrling in Osterode, 1931

Ich hatte einen Milchbruder, den Hans Schaller, den habe ich sehr gemocht. Die Familie Schaller lebte in ganz ärmlichen Verhältnissen, der Stiefvater war ein Trinker, der leibliche Vater war im 1. Weltkrieg gefallen. Frau Schaller hat bei der Post als Aufräumefrau gearbeitet, und die älteste Tochter war bei uns Stubenmädchen. Die Familie hat am Stadtrand von Osterode gewohnt. Da gab es noch kein elektrisches Licht. Weihnachten bin ich hingefahren, die hatten sie eine Petroleumlampe, und wir sind zu dritt um den Weihnachtsbaum gesessen: die Frau Schaller, mein Milchbruder und ich. Wir haben getratscht ein bisserl und sind dann, als es Zeit war, aufgebrochen. Ich bin nach Hause gegangen und sie sind zur Christmette gegangen. Der Hans und ich haben auch immer die Schulbrote getauscht. Er hatte ein Brot mit Schweineschmalz, ich hatte eine Wurstsemmel. Wenn ich von der Schule gekommen bin, hab ich meinen Ranzen hingeschmissen und bin ohne Schulaufgaben zum Hans gelaufen. Auf dem kalten Herd, sie hatten noch einen Kohlenherd, stand ein Topf mit Schweineschmalz und eine Blechkanne mit Malzkaffee. Jeder hat sich ein Stück Brot runter geschnitten, Schweineschmalz darauf und kalter Malzkaffee. Das war unser Mittagessen, und wir haben uns köstlich amüsiert. Draußen gab es große Sandberge von den Ziegeleien. Wir haben dort Burgen bauen können, und vor dem Winter haben wir eine Sprungschanze gebaut. Die ist dann gefroren, und wenn es geschneit hat, war die Sprungschanze fertig.

Hans musste zur Hitlerjugend, sonst hätte er zur Gesellenprüfung als Bäckerlehrling nicht antreten dürfen. Er ist in die Hitlerjugend eingetreten, hat aber keine Uniform gehabt und kam zum Appell in Zivil. Der Oberstabsführer hat getobt: “Hans Schaller, nächste Woche kommst du mit einer vollkommenen Uniform zum Appell“. Hans sagte: “Ich kann aber nicht, meine Mutter hat kein Geld.“ Eine Woche später ist er in Uniform erschienen. Er hat dann laut verkündet, dass seine Stiefel vom Juden Jacoby sind und Hemd und Hose vom Juden Jablonsky. Der Oberstabsführer war sehr wütend, aber Hans hat ganz ruhig erklärt: "Meine Mutter hat kein Geld und musste auf Kredit kaufen. Und Kredit kann sie nur bei Juden kriegen.“ Hans war in Osterode in der Bäckerei, die das ganze Kommissbrot für das Militär gebacken hat. Er blieb die ganzen Jahre mein Freund und hat uns auch zu Hause in Uniform mit Hakenkreuz besucht. Er ist das geblieben, was er war, bis zu seinem Tod. Er musste zur Marineinfanterie und ist im Krieg gefallen.“

Vergleiche diese mit einer anderen Geschichte

Herbert Lewin


Rosinen meines Lebens

Mitte der 90er Jahre begann Herbert Lewin langsam sein Augenlicht zu verlieren. Im Alter von 90 Jahren war er fast blind, aber wie in seiner Jugend bereitet ihm es immer noch die größte Freude, Musik zu hören. Während er uns Fotos aus seinem Leben zeigt, die er selber kaum noch sehen kann, erzählt uns Herbert Lewin von seiner Kindheit in der ostpreußischen Stadt Osterode (die heute zu Polen gehört). Er berichtet von seinem besten Freund, der ihn nie im Stich ließ, obwohl er gezwungen war, in die Hitlerjugend einzutreten. Herbert Lewin nimmt uns dann mit auf seine abenteuerliche Reise, in deren Verlauf er illegal nach Palästina ausreiste, sich in Tel Aviv verliebte und dann nach dem Krieg schließlich nach Europa zurückkehrte.

Arbeitsaufträge

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