Kaleidoskop der jüdischen Erinnerungen

Herbert Lewin

Meine Großmutter

Herbert Lewin wurde 1917 in Osterode, damals Ostpreußen, geboren. Weil er aus einer jüdischen Familie kam, musste er vor der nationalsozialistischen Verfolgung fliehen - so gelang er über Jugoslawien nach Palästina ins heutige Israel. Sein Bruder und seine Eltern wanderten nach England aus. In Israel lernte Herbert Lewin seine Frau Trude kennen, die aus Wien kam. Gemeinsam zogen sie 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, nach Österreich, wo Herbert Lewin bis zum Ende seines Lebens wohnte. Seinen besten Freund Hans Schaller hat Herbert Lewin nie vergessen.

Bertha Lewin mit ihren Söhnen Herbert und Werner in Osterode, 1921

Meine Großmutter hieß Helena Lewin. Ich kann mich erinnern, dass sie schon sehr alt war. Sie war eine streng gläubige, aber tolerante Frau. Wir hatten einen Ausschank, und sie ist Sommer wie Winter, die ganze Woche, am Kachelofen gesessen. Das haben wir als Kinder großartig gefunden. Jeder Gast, der herein gekommen ist, meistens waren es Handwerker oder Bauern, hat sie gekannt. Von jedem hat sie auch die Familie gekannt: Was macht das Kind, was macht die Frau - das war das erste, wenn ein Kunde herein gekommen ist. 

Meine Großmutter trug eine Perücke, einen Scheitl, und am Freitagabend ist sie stillschweigend verschwunden. Über dem Geschäft hatte sie ihre Wohnung: zwei Zimmer und eine fleischige Küche. Unten, neben dem Lokal, war ihre milchige Küche. Wenn sie gewusst hat, dass der Schabbes kommt, ist sie raufgegangen und hat Lichter gebenscht, also gesegnet. Sie hat gewusst, bei uns zu Hause ist trefe. Wir waren sehr gern bei ihr gesehen, wir sind oft bei ihr oben gewesen, aber sie ist nicht einmal zu uns in die Wohnung gekommen, weil sie gewusst hat, sie kann bei meiner Mutter nicht einmal ein Glaserl Wasser trinken, weil es trefe ist. Also so was von Toleranz! Sie hat gewusst, wir essen Schinken, wir essen Schweinsbraten - nie hat sie ein Wort darüber verlauten lassen, und deshalb war sie bei uns allen unheimlich beliebt. An den hohen Feiertagen sind wir zu ihr raufgegangen und haben ihr gute Feiertage gewünscht. Aber dann sind wir wieder weggegangen. Wir haben sie allein gelassen, denn sie hat gebetet. Sie ist die letzten Jahre sogar in die Synagoge gegangen. 

In Osterode gab es keine koscheren Geschäfte, es lebten ja nicht so viele Juden in dieser Gegend. Aber ein christlicher Fleischhauer hatte einen Hauklotz, der koscher war. Hinter dem Geschäft hatten wir einen kleinen Hof, da ist ständig ein lebender Truthahn oder eine Gans herum gelaufen. Wenn meine Großmutter sofort essen wollte, hat sie die Gans oder den Truthahn in einen Korb mit einem Deckel gegeben, und wir Kinder haben zum Rabbiner gehen müssen, um das Tier koscher schlachten zu lassen. Das war für uns furchtbar. Wenn der angefangen hat, das Messer zu wetzen, sind wir rausgegangen und haben nicht hinschauen können. Die Großmutter starb 1929, und der halbe Ort ist hinter ihrem Sarg hergegangen. Mein Vater sprach ein Jahr Kaddisch für sie.

Vergleiche diese mit einer anderen Geschichte

Herbert Lewin


Rosinen meines Lebens

Mitte der 90er Jahre begann Herbert Lewin langsam sein Augenlicht zu verlieren. Im Alter von 90 Jahren war er fast blind, aber wie in seiner Jugend bereitet ihm es immer noch die größte Freude, Musik zu hören. Während er uns Fotos aus seinem Leben zeigt, die er selber kaum noch sehen kann, erzählt uns Herbert Lewin von seiner Kindheit in der ostpreußischen Stadt Osterode (die heute zu Polen gehört). Er berichtet von seinem besten Freund, der ihn nie im Stich ließ, obwohl er gezwungen war, in die Hitlerjugend einzutreten. Herbert Lewin nimmt uns dann mit auf seine abenteuerliche Reise, in deren Verlauf er illegal nach Palästina ausreiste, sich in Tel Aviv verliebte und dann nach dem Krieg schließlich nach Europa zurückkehrte.

Arbeitsaufträge

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