Rosa Rosenstein
Mein Mann und unsere Hochzeit
Nach Hitlers Machtübernahme floh Rosas Familie aus Berlin nach Palästina; Rosa ging 1939 mit ihrem ungarischen Ehemann Michi und ihren zwei kleinen Töchtern nach Budapest. Während Rosa und Michi interniert waren, gelang es Rosa, ihre Töchter aus Budapest zu ihrer Famile nach Palästina zu schicken. Michi starb im Arbeitslager in der heutigen Ukraine, Rosa überlebte im Versteck in Budapest während der letzten Kriegsmonate. Nach Kriegsende heiratete sie Alfred Rosenstein aus Wien, bekam einen Sohn, Georg , und zog mit ihrem Mann in seine Heimatstadt Wien. Georg, der heutzutage Zwi heißt, wanderte 1963 nach seiner Matura (Abitur) nach Israel aus, lebte in einem Kibbutz und gründete eine eigene Familie, mit der er schließlich nach Österreich zurückkehrte.
Dann hatten wir eine richtig jüdische Verlobung, das war am 8. März 1928. Zur Verlobung sind seine Mutter und seine Schwester aus Budapest gekommen. Wir waren 80 Personen. Wir hatten damals eine Vier-Zimmer-Wohnung, drei Zimmer wurden ausgeräumt. Meine Mutter hat selbst das ganze Abendessen gekocht. Ich weiß noch, es gab Fische, und dann gab es Suppe, und dann gab es Fervel, Tarhonya, mit Geflügel, mit allem Möglichen. Und meine Mutter hatte Jahre vorher saure Kirschen in Weingeist eingelegt, für Likör. Da hatte sie Spiritus gekauft und die Kirschen reingelegt. Und sie hatte gesagt: Bei der ersten Familienfeier wird das aufgemacht und getrunken. Und das hat ein paar Jahre gedauert.
Michi war ja damals auch noch gar nicht volljährig. In Ungarn war man erst mit 24 volljährig. Er musste noch die Bewilligung von den Eltern haben. Er war Ausländer, und ich war Ausländerin. In Deutschland war man doch sehr genau. Ich war der Abstammung nach Polin und musste ein Ehefähigkeitszeugnis aus Polen haben. Wir haben die Angelegenheit Rechtsanwälten übergeben, die haben alles erledigt. Nur Geld musste man haben, sonst hätte man ja laufen und laufen und laufen müssen.
Dann haben wir geheiratet. Ich bestand auf dem Tempel in der Oranienburger Strasse. Der Oranienburger Tempel war der schönste Tempel überhaupt in Berlin, und man sagte sogar, in ganz Europa. Es waren Leute geladen nur für die Trauung und Leute zum anschließenden Essen im Restaurant. Zwei Ehepaare müssen die Braut unter die Chuppa führen, die nennt man die Unterführer. Und bei uns waren das meine Eltern von meiner Seite, und von Michis Seite seine Schwester und sein Schwager, die auch in Berlin gelebt haben. Zwei kleine Mädchen, Töchter von einer Freundin, haben Blumen gestreut. Alle waren sehr elegant. Dann kamen wir, dann kamen die zwei Jungen, die die Schleppe getragen haben. Und dann kam die Hochzeitsgesellschaft. Meine vier Freundinnen trugen elegante Kleider in hellgrün, in hellblau, die dritte in malvenfarben, die vierte war in rosa gekleidet.
Dann wurden wir getraut. Aber bevor man getraut wird, wurde die standesamtliche Bescheinigung verlangt. In Deutschland war das Gesetz, denn die jüdische Hochzeit wurde ja nicht anerkannt ‑ obwohl das in Österreich damals anerkannt wurde und auch in der Tschechoslowakei.
Nach der Trauung sind wir zum Essen gefahren. Das Restaurant war am Kupfergraben, direkt an der Alexanderstrasse. Das Essen war gut, die Fische hatte meine Mutter gemacht, richtig polnische Karpfen, kalt und mit Geleesauce und Barches dazu. Nach dem Essen sollte man tanzen, es war doch genug Jugend da. Der Bruder meiner Freundin war ein wunderbarer Klavierspieler, der hat alles spielen können ‑ aus dem Kopf, ohne Noten. Der hat sich dann ans Klavier gesetzt und gespielt, da konnten wir dann richtig tanzen.
-
Fervel
Fervel, auch Farfel, ist eine Art Eiernudel aus ähnlichen Zutaten wie Spätzle.
-
Tarhonya
Tarhonya, auch Eiergraupen genannt, sind ein ungarisches Gericht.
-
Ehefähigkeitszeugnis
Ein Ehefähigkeitszeugnis ist eine amtliche Bescheinigung, die bestätigt, dass einer Eheschließung zwischen zwei Verlobten, von denen wenigstens einer auch eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, nach der Rechtsordnung des Ausstellerlandes keine Ehehindernisse entgegenstehen, also insbesondere kein Mangel der Ehefähigkeit bzw. kein Eheverbot. Im Nationalsozialismus war es Jüdinnen und Juden, aber auch Sinti und Roma, verboten, “reinrassige“ Deutsche zu heiraten.
-
Tempel
Tempel kann gleichbedeutend mit Synagoge verwendet werden.
-
Chuppa
Das Wort “Chuppa“ bedeutet “Dach über dem Kopf“ und besagt, dass ein Haus, eine Familie gegründet wird. Die Chuppa dient während der Hochzeit als Dach oder Abdeckung für das Brautpaar. Sie besteht aus Stoff, der an vier Stangen befestigt wurde. Daher wird sie auch als Traubaldachin oder Hochzeitsbaldachin bezeichnet.
-
Standesamtliche Bescheinigung
Standesamtliche Bescheinigung, siehe Ehefähigkeitszeugnis
-
Barches
Barches, von hebräisch “Beracha“ = “Segen”, ist ein traditionelles Weißbrot der deutschen Juden für den Schabbat, in der Regel in Form eines geflochtenen Zopfes. Barches, unterscheidet sich von Challa, dem Festbrot der osteuropäischen Juden, in zweierlei Hinsicht: 1. Es ist ein "Wasserbrot" (es wird ohne Ei im Teig hergestellt), und 2. es enthält in der Regel Kartoffelpüree.
Rosa Rosenstein
Leben mit Geschichte
Nach Hitlers Machtübernahme floh Rosas Familie aus Berlin nach Palästina. Rosa ging 1939 mit ihrem ungarischen Ehemann Michi und ihren zwei kleinen Töchtern nach Budapest. Während Rosa und Michi interniert waren, gelang es Rosa, ihre Töchter aus Budapest zu ihrer Famile nach Palästina zu schicken. Michi starb im Arbeitslager in der heutigen Ukraine, Rosa überlebte im Versteck in Budapest während der letzten Kriegsmonate. Nach Kriegsende heiratete Rosa Alfred Rosenstein aus Wien, bekam einen Sohn, Georg, und zog mit ihrem Mann in seine Heimatstadt Wien. Georg, der heute Zwi heißt, wanderte 1963 nach seinem Abitur nach Israel aus, lebte in einem Kibbutz und gründete eine eigene Familie, mit der er schließlich nach Österreich zurückkehrte. Rosa Rosenstein starb 2005 im Alter von 98 Jahren.
Arbeitsaufträge
-
Beschreibe die Hochzeit von Rosa in deinen eigenen Worten.
-
Schreibe einen Brief aus Sicht der Brautmutter, in dem du ihre Vorfreude erläuterst.
-
Vergleiche Hochzeiten, die du von heute kennst mit der Hochzeit von Rosa. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es?
-
Erkläre, was die verschiedenen Gerichte sind, die Rosa und ihre Gäste gegessen haben und woher sie stammen.
-
Beschreibe was anders war, wenn sogenannte Ausländer*innen in Deutschland heiraten wollten.