Menachem Mayer
Erfahrungen der Ausgrenzung im Nationalsozialismus
Im Frühjahr 1935 wurde mein Bruder als einziges jüdisches Kind zusammen mit allen sechsjährigen nichtjüdischen Kindern in die Grundschule des Dorfes eingeschult. Der Schulweg war für ihn schrecklich. Viele Kinder wurden gegen Juden aufgehetzt. Sie sollten auch nicht mehr mit den jüdischen Kindern spielen. Manfred wurde oft schikaniert und verprügelt. Er lief weg, musste den nach ihm geworfenen Steinen ausweichen und sich verstecken. Es gab zu dieser Zeit nur noch Nazi-Lehrer, die anderen waren aus dem Schuldienst entfernt worden. Freds Lehrer, das habe ich herausgefunden, war ein Nazi. Nach dem Krieg saß er deshalb im Gefängnis. Die Erwachsenen haben den jüdischen Kindern nicht geholfen, sie kamen ihnen nicht zu Hilfe. Wir hatten gute Beziehungen zu mehreren Nachbarn, bis es zu gefährlich für sie wurde, mit uns Umgang zu haben.
An heißen Tagen paddelten wir oft und gern im kühlen Wasser der Elsenz, das ist ein kleiner Fluss, der durch Hoffenheim fließt. Wenn „unsere Feinde“ uns entdeckten, griffen sie uns an und schrien: Ersäuft die Judenbuben! Sie drückten meinem Bruder einmal den Kopf unter Wasser und ließen ihn erst im letzten Augenblick los. Seit dieser Zeit hatte er Angst vor tiefem Wasser, obwohl er schwimmen konnte. Einmal schaffte ich es nicht ihnen zu entkommen, sie verprügelten mich und stießen mich in einen Brennesselbusch, der am Ufer stand.
Es gab immer mehr Gesetze gegen Juden. Nach und nach wurden ihnen alle Bürgerrechte genommen.
Seit September 1935 war der Ausschluss der jüdischen Schüler vom Unterricht an deutschen Schulen vorbereitet worden. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung gab ein Rundschreiben heraus, in dem es hieß:
„Eine Hauptvoraussetzung für jede gedeihliche Erziehungsarbeit ist die rassische Übereinstimmung von Lehrer und Schüler. Kinder jüdischer Abstammung bilden für die Einheitlichkeit der Klassengemeinschaft und die ungestörte Durchführung der nationalsozialistischen Jugenderziehung auf den allgemeinen öffentlichen Schulen ein starkes Hindernis. Die Herstellung nationalsozialistischer Klassengemeinschaften als Grundlage einer auf dem deutschen Volkstumsgedanken beruhenden Jugenderziehung ist nur möglich, wenn eine klare Scheidung nach Rassenzugehörigkeit der Kinder vorgenommen wird. Ich beabsichtige daher, vom Schuljahr 1936 ab für die reichsangehörigen Schüler alle Schularten eine möglichst vollständige Rassentrennung durchzuführen.“
Manfred besuchte die Schule in Hoffenheim zwei Jahre, dann wechselte er in die jüdische Schule nach Heidelberg. Er fuhr jeden Tag mit dem Zug eine Stunde nach Heidelberg und eine Stunde nach dem Unterricht zurück. Der Weg dorthin war ungefähr 25 km.