Kaleidoskop der jüdischen Erinnerungen

Vergleiche

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Rosa Rosenstein

Reichspogromnacht und Auswanderung

Mein Vater wurde 1938, sofort nach der Reichspogromnacht, verhaftet und nach Polen deportiert. Er durfte zehn Mark mitnehmen und einen kleinen Aktenkoffer. Ich weiß noch, dass wir ihm seine goldene Uhr mit der Kette mitgegeben haben. Ich war ja mit einem Ungarn verheiratet, und ich hatte noch keine Angst. Ich hatte mir ein Visum nach Polen besorgt. Ich wollte zu meinem Vater und ihm Geld bringen. Und wie ich gerade vom Passamt komme, kommt mir meine Mutter entgegen und sagt: ‚Du musst nicht nach Polen, der Papa hat die Erlaubnis bekommen zurückzufahren und mich abzuholen, und wir fahren zusammen nach Palästina.’

Als mein Vater aus Polen zurückkam, wurde alles gepackt. Mein Vater ist damals so schweren Herzens weggefahren, denn ich bin noch geblieben mit meiner Familie. Mein Vater hat gesagt: ‚Ich versündige mich!’ Er konnte sich nicht trennen. ‚Ich versündige mich, ich lasse mein Kind hier, und ich gehe!’ Und er hat gesagt: ‚Ich gebe keine Ruhe, bis ich euch rüberhole.’

Mein Vater hatte sich 300 Dollar gespart - in 100 Dollar-Scheinen, drei Stück. Die Kisten waren schon weg. In den Kisten war sogar das Silberbesteck. Sie wurden in der Wohnung gepackt. Ich habe eine Kiste Bier bestellt. Die Zollbeamten haben gesoffen, und der jüdische Spediteur hat gepackt, sogar meine silbernen Leuchter, die durfte man ja mitnehmen, das war legal. Und wir haben gedacht, dass die Kisten, wenn die Zollbeamten in der Wohnung packen, gleich weggehen. Aber zu unserem Unglück wurden die Kisten am Zollhof noch einmal aufgemacht. Und da haben sie die Silbersachen gesehen und rausgenommen. Aber die jüdischen Packer, es war ja ein jüdischer Spediteur, die haben sie doch wieder eingepackt, die haben das geschafft. Na, also das ist dann weggegangen.

Aber wo versteckt man 300 Dollar? Ich hatte meine Wäsche zum Beispiel, die leicht rutscht, die seidene, auf solchen Wäschebrettern. Die konnte man fertig kaufen, mit so rosa Bändern wurde es dann zugebunden, damit es schön liegt. Meine Mutter kam auf die Idee ‑ sie hat sich ein Stück Pappe besorgt, sie hatte auch einen bunten Stoff, so mit Röschen bestickt ‑ ein Brett nachzumachen und die 300 Dollar hineinzuschieben. Es war nicht so schön wie die richtigen, es war etwas kleiner. Nur meine Eltern und ich wussten von dem Geld. Meine Eltern, meine jüngste Schwester Cilly und ich gingen zum Alexanderplatz, um die Koffer aufzugeben. Der Zollbeamte nahm jedes Stück raus und legte es daneben, auch die Wäschebretter. Es waren ja noch viel mehr Wäschebretter drinnen. Und er sagte plötzlich: ‚Na, wo haben Sie denn Ihre Dollar versteckt?’ Mein Vater hatte keine Ruhe, der ist immer wieder rausgegangen, spazieren. Und meine Schwester sagte frech: ‚Wissen Sie was, wenn ich Dollar hätte schmuggeln wollen, hätte ich eine bessere Möglichkeit gefunden.’ Da legte er alles wieder zurück. Mein Vater sagte damals: ‚Resi, ein Hunderter gehört dir!’