Kaleidoskop der jüdischen Erinnerungen

Vergleiche

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Rosa Rosenstein

Von Deutschland nach Ungarn

Mein Mann hat gesagt: “Bei uns in Ungarn kann nichts passieren.“ 1939, nach drei Wochen Krieg, musste man die Wohnungen verdunkeln, und es gab Lebensmittelkarten. Die Juden haben natürlich weniger bekommen. Und außerdem hatten wir nur bestimmte Stunden am Tag zum einkaufen; wir konnten nicht während des ganzen Tages einkaufen. Da haben wir die Koffer gepackt und sind nach Budapest, weil mein Mann ja behauptet hat, in Budapest kann das nicht passieren. Ich hatte aber zur Sicherheit die Einreisedokumente für meine Kinder nach Palästina dabei.

Wir fanden eine kleine Wohnung, zwei Zimmer und eine Küche, in Ujpest. Ich hatte schon die Kisten mit meinen Sachen aus Berlin. Die Möbel hatten wir damals schon verkauft. Das waren Notverkäufe. Für mein Schlafzimmer, das 4.000 Mark gekostet hatte, habe ich 400 Mark gekriegt. Aber ich hatte andere Sachen geschickt: Bettwäsche, Gardinen, die Silberleuchter, Silberbesteck.

“Wartet in Ungarn“, haben meine Eltern geschrieben. Damals konnte man nach Palästina nur einreisen, wenn man ein Zertifikat darüber hatte, dass der Beruf für das Land notwendig ist. Es hieß, wir könnten nur auf Kapitalistenzertifikaten einreisen. Und zu diesem Zertifikat gehörte ein Vermögen von tausend englischen Pfund, die man den Engländern bezahlen musste. Meine Eltern haben uns geschrieben, es wird für uns Kapital in Holland hinterlegt, damit wir als Kapitalisten einreisen können. Aber zu unserem Unglück sind die Deutschen in Holland einmarschiert.

Es haben zu dieser Zeit sehr viele Juden in Budapest gelebt, ich glaube 200.000. Und vis-à-vis unserer Wohnung war eine jüdische Mädchenschule. Den Juden ging es noch wunderbar damals in Ungarn. Meine Mädchen waren schon in Berlin in der Schule. Die Ältere hatte schon vier Volksschulklassen, und die Kleine hat damals die erste Klasse besucht.

Mein Mann hatte einen Bruder, der beim Vater in der Bäckerei gearbeitet hat, der war auch Bäcker. Der war der Liebling meiner Schwiegermutter. Er hat als Einziger überlebt, die anderen sind alle ins KZ gekommen und wurden ermordet. Er hat wahnsinnig viel geerbt nach dem Krieg. Nach einem Jahr hat er nichts mehr gehabt, weil er mit Geld nicht umgehen konnte. Er hat seinen Namen magyarisiert. Sie hießen Weisz, ich hieß ja auch Weisz. Meine Kinder, vor allem die Bessy, haben nach dem Krieg gesagt: “Lassen wir das alles begraben sein, was da war. Familie ist Familie!“ Die Familie in Budapest war arm, das war im Kommunismus.