Elvira Kohn
Die jüdischen Traditionen in meinem Haus
Elvira Kohn wurde 1914 in Rijeka geboren. Sie zog 1932 als junge Frau nach Dubrovnik, nachdem sie eine Stelle als Fotoreporterin bekommen hatte. Sie erinnert sich deutlich an den Beginn der antijüdischen Gesetze in Kroatien ab 1942, als die Ustascha an die Macht kamen. Im Januar 1943 wurde die jüdische Bevölkerung von Dubrovnik, darunter auch Elvira und ihre Mutter, auf die Insel Kupari und später in das Internierungslager auf der Insel Rab deportiert. Diese Insel wurde später von den Partisanen befreit, denen sich Elvira anschloss und mit denen sie für den Rest des Krieges reiste, um zu fotografieren. Sie arbeitete für den Rest ihres Lebens als Fotografin in Kroatien und starb 2003.
Mein Großvater wollte, dass wir im Haus Deutsch sprechen, weil das seine Muttersprache war. Meine Großmutter sprach Kroatisch mit uns und er war verärgert, wenn wir Kroatisch und nicht Deutsch sprachen.
In unserem Haus in Vinkovci, wo ich mit meinen Großeltern, meinem Bruder und meiner Mutter lebte, achtete die Familie die jüdischen Bräuche und Traditionen. Wir waren nicht sehr religiös, aber es gab bestimmte Elemente der jüdischen Religion und Traditionen, die wir respektierten. Es gab kein Schweinefleisch im Haus; das war streng verboten.
Ansonsten war das Fleisch, das wir aßen, nicht koscher; zumindest glaube ich nicht, dass es nach den strengen Kaschrut-Regeln geschlachtet wurde. Am Freitagabend zündeten wir Kerzen an und aßen ein festliches Essen, meistens Fisch, Hühnersuppe und Huhn. Wir tranken Rotwein.
Natürlich feierten wir alle Feiertage, wie Rosch ha-Schana, und wir hatten immer ein schönes Mittag- oder Abendessen. Am Jom Kippur haben wir gefastet. In meiner Familie war es eher eine Tradition als eine strenge Religion. Wie man so schön sagt: Die Bräuche haben das Judentum bewahrt, nicht die Gebete.
Ich besuchte die öffentliche Schule, die normale Grund- und Oberschule in Vinkovci. Es gab keine jüdische Schule. In dieser Schule gab es Schüler aller möglichen Religionen und Nationalitäten, und meine Freunde waren Juden und Nicht-Juden gleichermaßen.
Es gab zwar keine jüdische Schule, aber es gab jüdischen Religionsunterricht, der obligatorisch war. Jeden Sonntag hatten wir Religionsunterricht und bekamen Noten; er war Teil des Lehrplans.
In Vinkovci gab es eine jüdische Gemeinde, und im Allgemeinen herrschte ein reiches und lebendiges jüdisches Leben. Wir feierten gemeinsam Chanukka und Purim und hatten an den Feiertagen Partys. Diese fanden im Kulturzentrum in Vinkovci statt, nicht im Gemeindehaus.
Innerhalb der jüdischen Gemeinde gab es auch einen jüdischen Jugendclub, in dem ich Mitglied war. Wir trafen uns im Gemeindehaus und unterhielten uns, lernten etwas Hebräisch und jüdische Geschichte, tauschten Wissen und Ideen aus oder verbrachten einfach Zeit miteinander.
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Vinkovci
Vinkovci ist eine Stadt im Osten Kroatiens unweit der Grenze zu Serbien.
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koscher
Das hebräische Wort kascher bedeutet “einwandfrei“, “unbedenklich“, “tauglich“. Koscher ist die aschkenasische Aussprache des Wortes. Es bezeichnet Speisen, die nach den jüdischen Speisegesetzen, dem Kaschrut, zum Verzehr geeignet sind und die nach Vorschrift zubereitet wurden.
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Kaschrut
Kaschrut, hebräisch für “rein“, “tauglich“, bezeichnet die jüdischen Speisegesetze. Sie beziehen sich auf die Zubereitung, Lagerung und den Genuss von Lebensmitteln sowie die Schlachtung der zum Verzehr bestimmten Tiere. Was nach der Kaschrut gegessen werden darf, wird als koscher bezeichnet.
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Rosch ha-Schana
Rosch ha-Schana ist das jüdische Neujahrsfest, einer der heiligsten Tage des Judentums. Das Fest beginnt am ersten Tag des siebten Monats des hebräischen Kalenders, der in den September oder Oktober fällt und bedeutet "Kopf des Jahres" oder "Erster des Jahres". Rosch Haschana erinnert an die Erschaffung der Welt und markiert den Beginn der Tage der Ehrfurcht, einer 10-tägigen Periode der Selbstbesinnung und Reue, die im Jom Kippur-Fest gipfelt, das auch als Versöhnungstag bekannt ist. Rosch Haschana und Jom Kippur sind die beiden "Hohen Heiligen Tage" der jüdischen Religion.
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Jom Kippur
Jom Kippur ist der jüdische Versöhnungstag und gleichzeitig der höchste jährliche Festtag im Judentum. Er verlangt ein 25-stündiges Fasten und Gebet. Man versucht vor Jom Kippur, sich mit Menschen, mit denen man im Lauf des Jahres Probleme hatte, zu versöhnen, klärende Gespräche zu führen und materielle Schäden zu begleichen. Im jüdischen Kalender beginnt der Versöhnungstag bei Sonnenuntergang vor dem 10. Tischri (September/ Oktober) und dauert bis zum nächsten Sonnenuntergang.
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Chanukka
Chanukka ist ein achttägiges, jährliches Fest, das an die Wiedereinweihung des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 165 v.d.Z erinnert. Nach der Überlieferung stand im geschändeten Tempel nur noch ein einziger Krug mit koscherem Öl zum Betrieb des siebenarmigen Leuchters bereit, dessen Inhalt gerade mal für einen Tag reichte. Für die Herstellung neuen geweihten Öls wurden aber acht Tage benötigt. Durch das Wunder von Chanukka hat das Licht jedoch genau so lange gebrannt bis zusätzliches Öl hergestellt wurde. Daran erinnern die acht Lichter des Chanukka-Leuchters. Jeden Tag wird ein Licht mehr angezündet, bis am Ende alle brennen. Das Fest beginnt jeweils am 25. Tag des Monats Kislew (November/ Dezember). Das Wort Chanukka bedeutet “Einweihung“.
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Purim
Purim, hebräisch für "Los", ist ein fröhliches jüdisches Fest zum Gedenken an das Überleben der Juden, die im 5. Jahrhundert v. Chr. von ihren persischen Herrschern zum Tode verurteilt wurden. Purim wird am 14. Adar (Februar/März) gefeiert. Nach dem Buch Esther versuchte Haman, der höchste Regierungsbeamte des persischen Königs, alle Juden im Perserreich an einem Tag auszurotten. Königin Esther führte jedoch durch Fasten und Gebet die Rettung herbei. In der Synagoge wird aus diesem Anlass ein Gottesdienst gefeiert, bei dem es meist sehr fröhlich zugeht. Dabei wird auch die Festrolle des biblischen Buches Esther vorgelesen. Immer, wenn der Name Haman fällt, machen die anwesenden Kinder mit Tuten, Rasseln und Ratschen so viel Lärm wie möglich.
Arbeitsaufträge
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Elvira erzählt von jüdischen Traditionen in ihrem Haus. Beschreibe die Traditionen mit eigenen Worten und begründe anhand eines Beispiels deren Bedeutung für ihre Familie.
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Betrachte die Bilder von Elvira. Begründe anhand von Elviras Kleidung die Bedeutung von Tradition für sie.
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Wenn Elvira sagt: "Die Bräuche haben das Judentum bewahrt, aber nicht die Gebete." – Was meint sie damit? Begründe deine Aussage.
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Elvira unterscheidet zwischen jüdischen Traditionen einerseits und der jüdischen Religion anderseits. Vergleiche die beiden Begriffe und finde Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede. Suche nach passenden Stellen im Text.
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Elvira erwähnt bedeutende jüdische Feiertage. Kennst du weitere? Recherchiere dazu im Internet. Benenne sie und beschreibe ihre Rituale und Traditionen.
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Welchen Feiertag würdest du selbst gerne mal mitfeiern wollen? Begründe kurz.
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Vergleiche die Biographien von Elvira Kohn und Theofila Silberring. Zeige anhand von Beispielen Gemeinsamkeiten auf.
Teofila Silberring