Kaleidoskop der jüdischen Erinnerungen

Vergleiche

Hier kannst du zwei Geschichten gegenüberstellen und vergleichen:

Elvira Kohn

Die jüdischen Traditionen in meinem Haus

Mein Großvater wollte, dass wir im Haus Deutsch sprechen, weil das seine Muttersprache war. Meine Großmutter sprach Kroatisch mit uns und er war verärgert, wenn wir Kroatisch und nicht Deutsch sprachen. 

In unserem Haus in Vinkovci, wo ich mit meinen Großeltern, meinem Bruder und meiner Mutter lebte, achtete die Familie die jüdischen Bräuche und Traditionen. Wir waren nicht sehr religiös, aber es gab bestimmte Elemente der jüdischen Religion und Traditionen, die wir respektierten. Es gab kein Schweinefleisch im Haus; das war streng verboten. 

Ansonsten war das Fleisch, das wir aßen, nicht koscher; zumindest glaube ich nicht, dass es nach den strengen Kaschrut-Regeln geschlachtet wurde. Am Freitagabend zündeten wir Kerzen an und aßen ein festliches Essen, meistens Fisch, Hühnersuppe und Huhn. Wir tranken Rotwein.

Natürlich feierten wir alle Feiertage, wie Rosch ha-Schana, und wir hatten immer ein schönes Mittag- oder Abendessen. Am Jom Kippur haben wir gefastet. In meiner Familie war es eher eine Tradition als eine strenge Religion. Wie man so schön sagt: Die Bräuche haben das Judentum bewahrt, nicht die Gebete.

Ich besuchte die öffentliche Schule, die normale Grund- und Oberschule in Vinkovci. Es gab keine jüdische Schule. In dieser Schule gab es Schüler aller möglichen Religionen und Nationalitäten, und meine Freunde waren Juden und Nicht-Juden gleichermaßen. 

Es gab zwar keine jüdische Schule, aber es gab jüdischen Religionsunterricht, der obligatorisch war. Jeden Sonntag hatten wir Religionsunterricht und bekamen Noten; er war Teil des Lehrplans. 

In Vinkovci gab es eine jüdische Gemeinde, und im Allgemeinen herrschte ein reiches und lebendiges jüdisches Leben. Wir feierten gemeinsam Chanukka und Purim und hatten an den Feiertagen Partys. Diese fanden im Kulturzentrum in Vinkovci statt, nicht im Gemeindehaus.

Innerhalb der jüdischen Gemeinde gab es auch einen jüdischen Jugendclub, in dem ich Mitglied war. Wir trafen uns im Gemeindehaus und unterhielten uns, lernten etwas Hebräisch und jüdische Geschichte, tauschten Wissen und Ideen aus oder verbrachten einfach Zeit miteinander.

Teofila Silberring

Als Jüdin in Polen aufwachsen

Vor dem Krieg war die Miodowa-Straße vor allem eine Straße der Intellektuellen, der bessergestellten säkularen Juden. Und in den Seitenstraßen lebten Juden in Mänteln. Es ist nicht so, dass die Juden mit Zöpfen und weißen Socken, also die Chassidim, nicht die Miodowa-Straße entlanggingen. Sie gingen dort entlang, weil es eine Hauptstraße war, aber sie wohnten nicht dort. Gegenüber von unserem Haus befand sich die Tempel-Synagoge, die jüngste der Synagogen in Kazimierz, eine Reformsynagoge. Der Rabbiner dort war Ozjasz Thon (1870-1936), ein bedeutender Zionist und Abgeordneter des polnischen Parlaments. Vor dem Krieg war es eine Reformsynagoge, für wohlhabendere Leute, die mit Autos und Kutschen kamen. Ein orthodoxer Jude wäre dort nicht hineingegangen. Meine Eltern gingen an jedem Feiertag in den Tempel, ganz sicher. Und manchmal, wenn Vater mit Mutter an einem Samstag dort war, nahmen sie mich mit. Tempel war wunderschön. Die Männer waren unten und die Frauen oben, und ich ging immer zu Mama die Treppe hinauf. Da war eine Absperrung, und man schaute runter, was die Männer machten, wie sie beteten. Das hat mich alles begeistert. Ich bin gerne hingegangen, das weiß ich auch noch.

Samstags hat das Dienstmädchen alles gemacht, Juden durften nicht einmal das Licht anmachen, anscheinend. Sie konnte es, weil sie keine Jüdin war. Ich wusste, dass man samstags nicht Auto fahren durfte, dass wir bestimmte Dinge nicht tun durften, aber die Kinder haben alles gemacht, weil die Kinder assimilierter waren. Und außerdem ging Vater manchmal sogar samstags zur Arbeit. Vater war also nicht traditionell religiös. Aber er hat die Feiertage beibehalten; alle Feiertage wurden gefeiert.

Mein Lieblingsfest war Kuczki (Sukkot), das Fest der Schutzhütten. Denn dann gab es diese Hütten in unserem Hof, und wir Kinder, nicht nur ich, sondern das ganze Haus, bastelten bunte Papierketten und wetteiferten darum, wer die schönste war. Am ersten oder zweiten Tag hat Vater dort gegessen. Und danach war es ein so genannter 'freier' Feiertag, also hat er dort nicht gegessen. Aber die Hütte blieb bis zum Ende des Festes auf, also acht oder sieben Tage, ich weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall mochte ich diesen Feiertag sehr, denn ich habe Dinge vorbereitet, Dinge getan, war sehr wichtig. Wenn meine Kette besser wurde als die meiner Freunde von nebenan, war ich sehr stolz. Und Vater war auch stolz auf mich und hat allen gezeigt, was ich gemacht habe. Das war mein schönstes Fest.

Purim mochte ich auch, weil man Geschenke bekam. Man bekam Geld. Wir haben uns immer verkleidet, das weiß ich noch. Purim war also auch ein lustiges Fest. Dann erinnere ich mich an das Pessachfest. Wir haben das eingepackt, was man “Chummes“ nannte, das heißt Brotkrümel. Denn an Pessach darf man kein Brot essen, nur Matze. Und in Kazimierz gab es eine Bäckerei. Wir gingen dorthin, da gab es dieses große hölzerne Paddel, und man warf die “Chummes“ darauf, um sie zu verbrennen. Ich bin immer mitgegangen, weil ich gerne hingegangen bin. Was das für eine Tradition war, worauf sie beruhte, weiß ich nicht. Und es gab Seder, dieses Abendessen, ich erinnere mich; es gab auf jeden Fall Matzen. Das wurde traditionell gefeiert, und danach ging Vater in ein Kaffeehaus. Es gab dieses Kaffeehaus, in dem sich Maler und Gelehrte wie Vater zu treffen pflegten. Herr Koziol, ein Krakauer Journalist, erzählte mir später, dass dieses Kaffeehaus in der Dietla-Straße lag und "Pod szmatka" hießt, was “Unter dem Tuch” bedeutet.